Sonntag, 10. Oktober 2010

Fahrt nach Koh Chang-Andaman

Die Fahrt nach Koh Chang, der „kleinen Elefanteninsel“, mit der Sicht hinüber auf den südlichsten Zipfel Burmas, beginnt mit einem Blick auf den Himmel über Ranong. Bei Starkregen will ich auf gar keinen Fall das Guesthouse verlassen. Schließlich reise ich „offen“ und nicht im geschlossenen Taxi, Bus etc. Es regnet leicht und ich packe meine Sachen. Dann beginnt es wieder zu schütten, wie in der Nacht. Als der Regen gegen 10 Uhr nachlässt, fahre ich mit dem Moped, Rucksack mit Regenschutz auf dem Rücken, und selbst den Regenumhang um, in die Stadt, um bei Pon das Moped zurückzugeben. Als Vorbereitung auf die Abgeschiedenheit der Insel ziehe ich noch Geld und kaufe eine Rolle Klopapier, denn irgendwo war zu lesen, dass es dort keines geben würde. Mit einem Mopedtaxi fahre ich Richtung Koh Payam-Pier. Von dort sollen auch die Boote nach Koh Chang ablegen. Als wir ankommen (50,-Bht) sehe ich die Kähne am Pier. Der größere geht nach Payam. Auf dem finden sich auch ein paar Farangs ein. Der flache, kleinere, auf dem der Boden zwischen den Sitzbänken mit Fracht vollgestapelt ist, ist der nach Koh Chang. Weil die ersten Passagiere gleich auf den vorderen Bänken nach Platz suchen, wo sie die Füße noch irgendwie zwischen die Pakete und Säcke stellen können, müssen alle später eintreffenden Fahrgäste nun zwischen Fracht und Menschen hindurchklettern. Keiner regt sich darüber auf, alles ganz normal. Auf die Sekunde pünktlich legt der Kahn um 14 Uhr ab. Bei schönem Wetter muss die fast menschenleere Küstenlandschaft mit den Bergen dahinter herrlich aussehen. Aber auch auf diesem zivilisationsfernen Teil des Ozeans geht die Fahrt durch plastikgekrönte Wellen, und die Mangrovenufer hängen massenhaft voll mit Müll. Wenigstens ist ein großer Anteil des schwimmenden Unrats organisch. Größere Äste oder Stämme umschifft der Bootsmann mit dem flachen Kahn. An Bord wird laut geschwatzt und alle essen. Reisen und futtern gehört für Thais untrennbar zusammen. Der dicke Junge, der vor der Abfahrt noch zum Markt zurücktraben musste, weil die Familie dort ihre Schirme vergessen hatte, mampft ein ganzes Hähnchen aus der Plastikfolie schmatzend in sich hinein, die anschließend natürlich zu dem anderen Plastik ins Wasser fliegt. Die wenigen, die nicht essen, schlafen. Der Wind weht kühl, ich friere unter dem Regenumhang. Es ist mir aber zu umständlich etwas Wärmeres aus dem Rucksack zu kramen. Nach etwas mehr als einer Stunde legen wir am Pier von Koh Chang an. Man sieht keine Häuser auf der Insel. Soll ich hier wirklich aussteigen, in dieser Wildnis, bei diesem Wetter? Auf dem Pier warten einige Mopedfahrer. Eine Frau fragt, wohin ich möchte. „Lae Ta Wan“, so heißen die Bungalows am abgelegenen Ao Ta Daeng-Strand. Die Frau ist Oy, die Besitzerin. Ich werde tatsächlich erwartet, weil Pon, die Mopedverleiherin aus Ranong, meine Ankunft angekündigt hatte. Oy weist mir einen Mopedfahrer zu. Für mich beginnt die abenteuerlichste Fahrt, die ich jemals auf zwei Rädern gefahren bin. Es geht los mit Betonplatten, dann sind es nur noch die brüchigen Reste solcher Platten. Es folgt roter Lehm, durchsetzt mit dicken Wurzeln, Pfützen, Steinen. Wir fahren durch quer und längs fließende Rinnsale, rollen durch eingefräste schmale Rillen, tiefer als der Mopedreifen. Wie kann man hier nur fahren? Dazu noch mit dem Gewicht hinten drauf? Es kommt wie es kommen muss. Hinter einer Bachdurchfahrt geht es über dicke Steine den roten Lehmweg steil hinauf, und Moped und Fahrer kommen an ihre Grenze. Das Zweirad ist nicht mehr zu halten, wir stürzen. Ich falle weich, denn ich habe ja den Rucksack auf dem Rücken. Noch bevor er sich um sich selbst und das Moped kümmert, fragt mich der noch liegende Fahrer ob ich OK sei. Mir fehlt nichts, aber er blutet an den Fersen. Bei den nächsten Problemstellen will ich vorher absteigen und die paar Meter gehen, obwohl der Fahrer „no problem“ meint. Ich glaube, er ist selbst auch froh darüber. Wir erreichen den abgelegenen Strand und das Resort nach ca. 15 Minuten, die mir aber viel länger vorkamen. Oy hatte mir am Pier ja schon gesagt, dass eigentlich noch nicht geöffnet ist. Und so sieht es auch aus. Ein Resort aus Bungalowhütten der einfacheren Art, noch geschlossen und außerhalb der Saison, dazu noch bei Wind und Regenwetter, ist kein einladender Anblick. Europäer könnten es als eine Art Vorhölle empfinden, die der Himmel mit weit geöffneten Schleusen gerade wegspülen will. Im Restaurantbereich stehen zerlegte Mopeds, lagern Matratzen, hängt Wäsche. Die Durchreiche zur Küche ist mit Brettern vernagelt und es gibt keinen Strom. Auf dem Strand türmt sich der angeschwemmte Müll, reparaturbedürftige Möbel liegen herum. Einige der Bungalows sehen absolut unbewohnbar aus. Als Oy eintrifft erklärt sie mir, dass der Strand bereits einmal komplett gesäubert war. Allerdings sei dann das Wasser noch einmal richtig hoch in die Bucht geschwappt und alles war wieder versaut. Man macht mir eine Hütte fertig. Ein junges Arbeiterpaar aus Burma erledigt hier solche Arbeiten. Mir kommen Erinnerungen an mein „Hanoi-Hilton“, dem sehr einfachen Zimmer bei den Mönchen in Sri Lanka. Am Ende habe ich es geliebt, weil es mir neue Erfahrungen ermöglicht hat. So wird es auch hier sein, denke ich mir. Außerdem ist es hier mit dem Sitzklo ja fast komfortabel dagegen. Man ist sehr bemüht um mich. Oy fragt, was sie zum Essen besorgen soll, und ich erkläre ihr meine Vorlieben und Abneigungen. Reis- oder Nudelsuppe am Morgen – no problem -, Gerichte mit Fisch oder Huhn am Abend, kein Rind- und kein Schweinefleisch. Und, wenn möglich, 4 Flaschen Bier ab 17 Uhr. Der Mopedfahrer muss sofort wieder los. Er besorgt irgendwo 8 Dosen Chang-Bier, von denen er allerdings eine unterwegs verliert. An anderen Orten hätte ich gedacht „Aha – verloren“, aber hier glaube ich das. Am Nachmittag liegt ein toter Delfin auf dem Strand. Er ist nicht mehr zu erkennen. Nur noch ein großer Klumpen stinkendes Etwas, an dem Leinen hängen. Die Jungs rollen ihn mit Stangen zurück ins Wasser. Oy erzählt gerne, sehr laut, und sehr viel. Ich erfahre, dass sie aus dem Isan kommt, aus Khon Kaen, und das Grundstück hier vor 12 Jahren gekauft hat. Ihr Mann sei schon alt, 64, und er kümmere sich nicht um seine fehlenden Zähne. Dann soll ich schätzen wie alt sie ist. Ganz Gentleman ziehe ich vorsichtshalber mal 5 Jahre ab und sage 47. Und tatsächlich, sie ist 52. Beim Tsunami war das Wasser im Restaurant, aber das ist auch nur einen Meter über dem aktuellen Hochwasserstand. Auf Koh Payam habe es aber 3 Tote gegeben. Als es dunkel wird schaltet Oy für eine Stunde den Generator an. Ich lade das Handy. Die Nachtlampe, eine Konstruktion aus Plastikflasche und Kerze, brennt mir auf dem Weg zum Bungalow ab. Ich finde das Bett aber auch im Dustern. In der Nacht regnet es wieder heftig. Ich schlafe trotzdem gut.

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